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Timeout 157: Wann versteht man genug?

Investiere nur in Anlagen, die du verstehst. Diese stets gutmeinte Empfehlung hören und lesen wir heute sehr oft. Im Grundsatz spricht auch nichts dagegen. Wir wagen uns im Timeout trotzdem an die Erörterung der Empfehlung heran, weil man sich schon fragen darf, ob überhaupt und wann man eigentlich von sich be-haupten kann, genug von einer Anlage zu verstehen.

 

Ausgangslage

Nein, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Von Kindesbein an lernen wir, zahllose nützliche und weniger nützliche Dinge, um uns in unserer mittlerweile äusserst anspruchsvollen und komplexen Welt zurecht zu finden. Von zentralen Grundfähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen bis zu Jahrzehnten an praktischer Arbeits-erfahrung und fortgschrittenen, akademischen Kursen für Doktoranden in ausgewählten Fachdisziplinen.

Auch bei Anlagenfragen und Anlageentscheiden hilft uns eine gewisse Sicherheit in der Materie und ein gutes Verständnis für die Funktionsweise sowie das Rendite-potenzial und die damit verbundenen Anlagerrisiken, um schlaflosen Nächten vorzubeugen. Im Gegensatz zu den oft ziemlich transparent dokumentierten Lernzielen in der Schule erfordern Finanzanlagen mehr Aufwand für die persönliche Ausbildung und die Entwicklung eines subjektiven Wohlbehagens, insbesondere wenn es über passiv verwaltete ETFs hinaus gehen soll.

Im Timeout erörtern wir die Frage, ob es überhaupt ein bestimmtes Niveau in Bezug auf Anlageknowhow gibt, bei dem man objektiv betrachtet von sich behaupten kann, man wisse genug. Der scharfsinnige Leser wird zu Recht schon jetzt vermuten, dass es das unserer Ansicht nach nicht gibt. Wir glauben eher an ein subjektives Gefühl gepaart mit einer entsprechenden Einstellung zur Aufnahme und Berücksichtigung neuer Information.

Verständnis ist subjektiv

Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters, was wie erwartet wohl auch für das Verständnis aller Arten von Zusammenhängen gilt, insbesondere für solche an Finanzmärkten und für einzelne Anlageprodukte. Was für gewisse Menschen komplex und intransparent wirkt, erscheint für andere klar und nachvollziehbar. Nicht ohne Grund lässt sich bekanntlich für Laien, weit fortgeschrittene Technologie kaum von Magie unterscheiden, während erfahrene Experten eine bestimmte Funktionsweise integral durchschauen.

Eindrücklich war die Aussage eines ehemaligen Medizin-professors mit Spezialisierung auf das Herz, der ganz lapidar meinte, er verstehe vermutlich weniger als 5% des menschlichen Körpers. Wer jemanden suche, der mehr davon verstehe, solle dies besser mit seinen Drittsemester-Studenten besprechen. Diese seien oft überzeugt, dass sie schon mindestens die Hälfte des menschlichen Körpers verstehen würden.

Wer mehr weiss und stets mehr dazu lernt, realisiert dabei oft erst, wie viel er immer noch nicht weiss.

Wenn wir akzeptieren, dass nicht nur unser Wissen in einem bestimmten Bereich über die Zeit ändert (idealer-weise zunimmt), sondern auch unsere Vorstellung davon, wie viel unser Wissen im Grossen und Ganzen ausmacht, erscheint unsere Fragestellung in diesem Timeout vielleicht in einem neuen Licht. Bevor wir uns den praxis-relevanten Fragen widmen, seien zwei Abstecher in die Philosophie und Psychologie erlaubt.

Philosophie

Der Volksmund sagt, man habe nie ausgelernt. Und auch Sokrates betonte, dass er wisse, dass er nichts wisse. Nur der delphische Gott Apollon sei wahrhaft weise. Konfuzius schrieb: «Lernen und das Gelernte zur rechten Zeit anwenden, ist das nicht auch eine Freude?“ Für ihn ist das Lernen sogar das, was den Menschen erst zum Menschen macht.

Das klingt für uns nach einer Empfehlung, nie mit dem Lernen aufzuhören, obwohl die echte Allwissenheit stets unerreichbar bleibt. Entsprechend heikel erscheint es zumindest aus dieser philosophischen Sicht von sich zu behaupten, man wisse bereits genug über Anlagen.  Noch heikler erscheint die Überzeugung, man könne sich weitere Informationen und Ausbildungen zu neuen oder weniger bekannten Anlagen, insbesondere im Bereich der Privatmarkt- und der Alternativen Anlagen guten Gewissens ersparen, weil man ja bereits mit Sicherheit weiss, dass man nicht in diese Anlagen investieren will.

Selbstverständlich haben wir Verständnis dafür, dass im hektischen Arbeitsalltag nicht immer (genug) Zeit für die persönliche Weiterbildung auf Finanzfragen besteht. Alles zu verstehen, wäre auch weder möglich noch sinnvoll, wie wir im Praxisteil herausstreichen werden. Aber die Einstellung, mit der wir an Anlagefragen herangehen und das Verständnis für bestimmte Anlagechancen und Risiken lassen sich unserer Ansicht nach bereits mit überschaubarem Aufwand steuern, vor allem wenn wir an einige, in der Psychologie bereits seit Jahrzehnten gut dokumentierte Denkmuster denken.

Psychologie

Einige der zahllosen Forschungszweige der Psychologie befassen sich mit der stets subjektiven Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit und des Wissens, sowohl absolut als auch relativ zu anderen Menschen. Viel zitierte Papers dazu stammen aus den 60ern und 70ern, d.h. sie sind damit definitiv nicht neu. Nobelpreisträger Daniel Kahnemann verfasste dazu eine wunderbare und vor allem leicht leserliche Übersicht in seinem Buch: Judgement Under Uncertainty: Heuristics and Biases.

Ein gutes Beispiel aus der Vielzahl von Erkenntnissen dreht sich um Overconfidence und verweist auf die Beobachtung, dass eine Mehrheit der Menschen ihre eigenen Fähigkeiten, ihr Knowhow und ihre Prognose-fähigkeit in der Tendenz eher überschätzen (absolut und vor allem relativ zu anderen). Dies nicht nur am Steuer, sondern auch wenn es um Finanzmarktanlagen geht. Wir haben uns bereits in den Timeouts Nr. 23, 66 und 112 vertiefte Gedanken zur Overconfidence gemacht.

Neuer ist die populär-wissenschaftliche Studie, die zu Ehren der beiden Autoren den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt beschreibt. Er besagt im Wesentlichen, dass Personen mit geringer Kompetenz nicht bemerken, wie wenig Ahnung sie von einem Thema haben, weil ihnen sogar für diese simple Erkenntnis das nötige Wissen fehlt. Man entschuldige mir diese Formulierung, welche aber dem Text der beiden Autoren entspricht. Andererseits würden gemäss ihrer Studie die kompe-tentesten Menschen in einem Gebiet ihr eigenes Wissen oft sogar eher unterschätzen (vielleicht so wie der erwähnte Medizinprofessor). Vielleicht, weil sie nicht in die Overconfidence-Falle tappen wollen, oder weil sie persönlich eine gewisse Bescheidenheit demonstrieren möchten (evtl. aufgrund der erwähnten philosophischen Ansatzpunkte).

Aber wen kümmert im alltäglichen Wahnsinn der Finanz-märkte und der dazugehörigen Regulation schon die Philosophie und Psychologie. Damit zurück zur Praxis.

Auftrag und Verantwortung

Wer in der Praxis Anlageentscheide trifft bzw. zu ver-antworten hat, sollte über die notwendigen Kenntnisse der Materie verfügen. Insbesondere beim Umgang mit dem Geld anderer Leute ein sehr sinnvoller Grundsatz. Der Regulator in der Schweiz prüft beispielsweise die Eignung von Verwaltungsmitgliedern. Auch wer ein Amt als Stiftungsrat annimmt, sollte gewisse Ausbildungs-module, unter anderem zu den Finanzanlagen, intern oder extern absolviert haben. Natürlich erfordern diese Ausbildungen und entsprechenden Prüfungen keine apollonische Allwissenheit, sondern nur das Verständnis für bestimmte Konzepte und Ansätze in bestimmten Anlagefragen. Diese reichen ja auch in den meisten Fällen zur Ausübung der vorgesehenen Funktion aus.

So wird von Stiftungsräten in der Schweiz weder erwartet, dass sie jede Position in ihrem Gesamtportfolio im Detail kennen geschweige denn im Detail verstehen, noch dass sie über Prognosefähigkeiten für zukünftige Anlagerenditen verfügen. Ihr Verantwortungsbereich beschränkt sich bewusst auf die für den Anlageerfolg zentrale Festlegung einer spezifisch für ihre individuelle Pensionskasse geeigneten Anlagestrategie und die regelmässige Überprüfung, ob die darin festgelegten Anlageziele erreicht werden. Sie müssen dabei sorgfältig vorgehen, was in der Praxis in erster Linie eine gute Dokumentation von Entscheiden und Ergebnissen beinhaltet und im Einklang mit den regulatorischen Vorgaben z.B. gemäss BVV2 steht.

Zentral ist zu wissen, dass Stiftungsräte nicht für künftige Renditen verantwortlich gemacht werden können, sondern nur für die angewandte Sorgfalt bei der Festlegung der Anlagestrategie und der Überprüfung der Zielerreichung über die Zeit. Beispielsweise erlitten viele institutionelle Anleger in der Finanzkrise 2008 sowie auch in der Phase ansteigender Zinsen in 2022 hohe Verluste, was unseres Wissens nach noch nie regulatorische Untersuchungen nach sich zog. Ehrlich gesagt sind wir eher überrascht, dass die erlittenen Verluste im Jahr 2022 nicht intensivere Diskussionen über die Gründe und mögliche Verbesserungen in der Diversifikation der Anlagen nach sich zogen. Aber das ist ein anderes Thema.

Zur Auftragserfüllung dürfen Stiftungsräte auch externe Experten beiziehen, an welche sie gewisse Aufgaben delegieren, aber die Verantwortung für das Endergebnis nicht abtreten können. Das führt uns direkt zu unseren Gedanken über die Rolle klassischer Consultants.

Was erwarte ich von Consultants?

Externe Consultants bei Anlagefragen beizuziehen, macht insbesondere Sinn, wenn man sich von Ihnen zusätzliches Fachwissen verspricht, das die Erfüllung der Verantwortlichkeiten sichert und die Chancen zur Zielerreichung der Anlagen verbessert. Wenn wir die Perspektive als Versicherte einnehmen, würde wir uns grundsätzlich wünschen, dass unserer Pensionskasse auf geeignete externe Consultants abstellt, die das interne Anlageteam gezielt auf allen möglichen Anlagen unterstützen und mit zusätzlichem Fach-Knowhow versorgen. Die praktische Erfahrung beweist uns, dass unsere eigene und viele andere Pensionskassen in der Schweiz diesen Wunsch schon lange ernst nehmen und in unseren Augen ausreichen erfüllen.

Gerade von Consultants, welche bei der Festlegung von Anlagestrategien von PKs mitwirken, darf man sowohl aus philosophischer und psychologischer Sicht als auch aus praktischer Sicht erwarten, dass sie sich vertieft mit allen Arten Anlagen befassen und laufend weiterbilden, um jeweils die kundenspezifisch optimalen Portfolios herzuleiten. Interessanterweise zeigt unsere Erfahrung aus den letzten gut zwanzig Jahren leider auch, dass von einigen Schweizer Consultants oft der Hinweis an Kunden erfolgt, nur in diejenigen Anlagen zu investieren, die sie bereits verstehen und alles andere zu ignorieren.

Das fühlt sich vielleicht für einzelne Stiftungsräte einer Pensionskasse im ersten Moment gut an, nicht zuletzt, weil es sie von einer möglicherweise zeitintensiven und anstrengenden Weiterbildung entbindet. Und selbstverständlich hilft die Empfehlung auch, das stets subjektiv wahrgenommene, aber praxisrelevante Peergroup- und Reputationsrisiko zu mindern. Aber ist es wirklich der optimale Weg, um die Interessen der Versicherten in einer PK bestmöglich zu erfüllen?

Es gibt keine universal richtige Antwort auf diese Frage, und es ist äusserst begrüssenswert, dass der Regulator diesen Entscheid den autonomen PKs selbst überlasst und nicht mit weiteren Regulierungen eingreift. Wir ver-treten diesbezüglich die Ansicht, dass es sowohl im Sinne der Sorgfalt als auch im Interesse der Versicherten sein dürfte, alle Anlageideen regelmässig zu prüfen. Und zwar nicht nur diejenigen Anlagen, die bereits im Portfolio gehalten werden, sondern auch andere, die evtl. als gezielte Ergänzung in Frage kommen.

Prüfen heisst nicht immer auch gutheissen

Wer sich über verschiedene neue oder einfach subjektiv noch nicht so bekannte Anlageklassen, Strategien und Ideen informiert, ist noch lange nicht gezwungen, sie dann auch in der Praxis umzusetzen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit bestimmten Anlagethemen, insbesondere unter Einbezug der teilweisen konträren Meinungen von unterschiedlichen Fachleuten kann sogar zum Anlass genommen werden, ganz bewusst auf diese Anlagethemen zu verzichten.

Nach unserem subjektiven Verständnis wird die zu Recht vom Regulator geforderte Sorgfaltspflicht sogar glaubwürdiger erfüllt, wenn man als institutioneller Anleger die zur Auswahl stehenden Anlageklassen und Strategien zuerst prüft, oder extern prüfen und kommentieren lässt, und dann informiert entscheidet.

In unserer persönlichen Erfahrung ist die Teilnahme oder Durchführung von Diskussionen geeigneter Fachleute mit unterschiedlichen Ansichten zu bestimmten Anlage-themen äusserst wertvoll, um sich selbst eine Meinung zu bilden oder aber die vorherrschende Meinung bewusst kritisch zu hinterfragen. Ein ideales Beispiel finden wir im Interview mit den Nobelpreisträgern Eugene Fama und Richard Tailor an der Universität in Chicago (https://www.chicagobooth.edu/review/are-markets-efficient) zur Frage, ob Märkte effizient sind. Wir überlassen es gerne den Lesern, ihre eigene Meinung dazu zu bilden und nehmen lediglich vorweg, dass man die Wettbewerbsintensität an den Finanzmärkten bei der Jagd nach überdurchschnittlichen Renditen niemals unterschätzen sollte (siehe dazu auch unsere Timeouts Nr. 35, 47, 76, 149, 150).

In unserem Tagesgeschäft treffen wir unzählige Anbieter von Strategien und Fonds, die wir im Auftrag von Kunden im Detail prüfen. Davon weisen wir je nach Anlageklasse und Strategie rund 90-100% zurück. Nicht weil deren Ideen und Angebote schlecht wären, sondern weil wir noch geeignetere Lösungen für die spezifischen Ziele unserer Kunden identifiziert haben. Anschliessend erklären wir unseren Kunden und auch den Anbietern gerne mehr oder weniger detailliert, worauf unsere Einschätzungen und Empfehlungen beruhen. Und wir möchten transparent zu Protokoll geben, dass wir unsere Meinungen schon mehrfach basierend auf den überzeugenden Argumentationen von externen Fachleuten geändert haben. Treu nach dem Motto von J.M. Keynes der angeblich gesagt haben soll, dass er selbstverständlich seine Meinung ändere, wenn neue Informationen vorlägen, um anschliessend zu fragen, was denn die Alternative dazu wäre.

Fazit

Sowohl aus philosophischer als auch aus praktischer Sicht erachten wir es als zielführender, wenn Anleger im Anschluss an eine fundierte Prüfung von bestimmten Anlagen absehen, als sie vorschnell abzuschiessen, weil man glaubt, sie gar nicht verstehen zu müssen.

Natürlich fehlt vielen von uns im hektischen Alltag oft die Zeit für persönliche Ausbildungen und insbesondere für ein umfangreiches Selbststudium. Daher bieten sich Gespräche mit verschiedenen Fachleuten an, um ihre jeweiligen Argumentationen für oder gegen bestimmte Anlagen nachzuvollziehen und sich selbst eine Meinung zu bilden. Der Erfolg bzw. der wahrgenommene Nutzen davon hängt in unseren Augen vielmehr von der persönlichen Einstellung dazu ab, als vom individuellen Wissensstand. Und wenn der gute Konfuzius richtig liegen sollte, bereitet die Auseinandersetzung mit  unterschiedlichen Argumenten für und gegen gewisse Anlagen vielleicht sogar ein wenig Freude.

 

Dr. Christoph Gort, Investment Managing Director

 

 

 


 

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