Timeout 156: Top-Down oder Bottom-Up?
Bei der Auswahl von Managern und Anlageprodukten sowie der Konstruktion von Multimanager-Portfolios lassen sich unterschiedliche Ansätze verfolgen. Zwei davon erscheinen uns besonders erwähnenswert, weil sie sich je nach den individuellen Kundenbedürfnissen aber auch nach Anlageklassen mehr oder weniger eignen. Man spricht von Top-Down und Bottom-Up. Worin die praxisrelevanten Unterschiede liegen und weshalb sie für uns eine Rolle spielen, erörtern wir nun.
Einführung
Das Universum an Managern und Anlageprodukten ist enorm breit und heterogen, besonders in der Welt der alternativen Anlagen. Die Auswahl ist nicht trivial, vor allem nicht, wenn individuelle Ziele und Wünsche zu berücksichtigen sind. Und wie immer führen viele Wege nach Rom. Wir skizzieren hier nun zwei grundsätzliche, unterschiedlich ausgerichtete Ansätze zur Auswahl von Anlagen und Produkten: Der erste wird als Top-Down bezeichnet und der zweite als Bottom-Up. Diese beiden Ansätze schliessen sich zwar nicht gegenseitig aus und können durchaus auch kombiniert werden, aber in der Praxis empfiehlt es sich vor Selektionen zu entscheiden, welcher Prozess prioritär behandelt werden soll.
Als Eselsbrücke kann man sich vorstellen, dass «Top-Down» den Blick von oben herab auf eine Auswahl von Anlageprodukten darstellt, die sich nach zahlreichen Kriterien anordnen lassen, wie z.B. nach Anlageklasse, Region, Strategie, Stil, Diversifikationsgrad, Liquidität und vielem mehr. Darauf basierend werden Gruppen gebildet, deren Manager sich von oben her betrachtet ähneln. Bottom-Up entspricht hingegen dem Blick von unten auf sämtliche Anbieter und deren Fonds ohne übergeordnete Kategorisierung nach spezifischen Kri-terien. Bei Bottom-Up getriebenen Selektionsprozessen achtet man z.B. mehr auf die Personen und Teams bei den Managern, ihre spezifischen (Fonds-) Track Records sowohl absolut als auch relativ zu Benchmarks, auf ihre persönlichen Referenzen, individuelle Wettbewerbsvor-teile oder auf die Investorenbasis in bestimmten Fonds.
Top-Down
Unter dem Begriff der Top-Down-Selektion verstehen wir die Idee, dass man als Anleger bzw. Kunde eine klare Vorstellung mit präzisen Vorgaben bezüglich den eigenen Anlagezielen und zahlreichen anderen Kriterien und Anforderungen formuliert. Man blickt somit von oben auf das gesamte Universum von Managern und Produkten herunter und beginnt sie in sinnvolle und homogene Gruppen zu ordnen. In einzelnen kleinen Schritten filtert man dann diejenige Gruppe(n) heraus, die aufgrund ihrer Eigenschaften die besten Chancen zur individuellen Zielerreichung bietet. Innerhalb dieser herausgefilterten Gruppe(n) wird dann einer oder mehrere Favoriten für die finale Investition erkoren.
Als Beispiel eignet sich der Wunsch eines Kunden, in ein liquides Anlageprodukt zu investieren, das eine hohe Diversifikation zu traditionellen Anlagen wie Aktien und Anleihen liefert (gemessen über die Korrelation und sein «Krisen-Alpha», d.h. positive Rendite in Phasen nega-tiver Aktienrenditen), eine nachvollziehbare Strategie verfolgt, keine Performance-Gebühren verlangt und positive Renditen für die Zukunft erwarten lässt.
Spielen wir den dafür passenden Top-Down-Prozess einmal durch: Die Liquiditätsanforderung schliesst alle closed-end-Produkte und damit den Grossteil der Anlagen an Privatmärkten wie Private Equity, Private Debt oder Infrastruktur aus. Nach den Erfahrungen im Jahr 2022 als Aktien und Anleihen gleichzeitig und aus identischen ökonomischen Gründen (Zinsanstiege) dop-pelstellige Renditeeinbussen erlitten, sind ebenfalls nicht gewünscht. Ebensowenig bieten sich alternative Strategien mit hohem Aktienbeta an, was z.B. diverse Long-Short-Equity Hedge Funds ausschliesst. Bei der Nachvollziehbarkeit wird es etwas subjektiver, aber gewisse diskretionäre Makro-Strategien, bei denen ein Kunde die Anlageentscheide des Managers weder im Detail kennen noch nachvollziehen kann, scheiden ebenfalls aus. Auch sämtliche Fonds mit Performance-Gebühren fallen dem Filterprozess zum Opfer. Somit bleiben nicht mehr so viele Kandidaten übrig, aber die Gruppe der klassischen Trendfolger (CTAs genannt wie wir sie in den Timeouts 142 oder 100 und beschrieben), übersteht hier unseren schrittweisen Filterprozess.
Man könnte nun innerhalb dieser Gruppe von CTAs weiter top-down filtern und auf zahlreiche Nuancen zwischen der CTAs eingehen (z.B. nach Trend-Horizont, Signaltypen, gehandelten Märkten, Volatilität, etc.), um erneut Top-Down eine Shortliste von geeigneten Fonds zu erarbeiten. Das wird bei uns in der Praxis auch genau so gemacht, sprengt aber den Rahmen des Timeouts und wohl auch den Geduldsfaden der meisten Leser.
Bottom-Up
Eine Bottom-Up-Selektion geht anders vor, weil Kunden hierbei weniger fixe Ziele und Vorgaben für bestimmte Gruppen von Strategien, Managern oder Anlagefonds kommunizieren (wollen) und eigentlich im Voraus gar keine detaillierten Gruppen bilden, sondern vielleicht nur einmal wissen möchten, welche Manager heute ein liquides Produkt anbieten, das in den letzten paar Jahren solide Renditen abgeliefert hat.
Diese Vorgabe erfordert zwar, die Privatmarktanlagen auszuschliessen, aber im liquiden Bereich eröffnen sich zahllose Möglichkeiten. Da gibt es z.B. Aktienmanager, die sich bewusst auf NASDAQ und Tech-Titel in den USA konzentrieren und damit in den letzten Jahren fast alle Aktienindizes weit hinter sich liessen. Es gibt Kreditfonds, die sich in Loans und CLOs engagierten (die aufgrund ihrer variablen Verzinsung kein Durationsrisiko aufweisen und in 2022 kaum unter den Zinsanstiegen litten) und deshalb erstklassige Renditen erzielten. Auch gewisse Multistrategy-Hedge-Funds könnten genannt werden. Und natürlich auch einige der bereits erwähnten CTAs, wie wir sie vorher im Top-Down-Prozess eruiert haben.
Delegation versus aktiv gesteuerte Diversifikation
Auf die Frage, welcher der beiden Prozesse in Zukunft die höhere Rendite generieren wird, lautet die ehrliche Antwort, dass wir es nicht wissen (können). Nicht weil die zwei Prozesse schlecht wären, sondern weil wir weder die Zukunft der Märkte noch die der Manager kennen. Trotzdem ergeben sich je nach Vorgehensweise in einer Selektion signifikante Unterschiede für die Kunden, insbesondere im Hinblick auf die resultierende Portfolio-Diversifikation und die Wirkungsweise des oder der neuen Fonds im Gesamtportfoliokontext.
Im Bottom-Up-Prozess wird einem Kunden ein weitaus heterogeneres Set von Kandidaten vorgestellt. Dabei ist es plausibel, dass gewisse konzentrierte Aktien-Fonds ebenso wie gewisse Hedge Funds auch in Zukunft hervorragende absolute Renditen und Alpha erzielen. Ob der Kunde genau diese Fonds mit seinem Bottom-Up-Prozess erwischt, steht aber in den Sternen. Fest steht hingegen, dass er je nach Selektion bewusst oder unbewusst ein hohes thematisches bzw. strategie- und stilspezifisches Risiko eingeht. Wenn er tatsächlich auf Überflieger mit konzentrierten Tech-Aktien-Portfolios setzt, geht er eine Aktien- und Sektorwette ein. Wenn er den komplexen Multistrategy Hedge Funds wählt, setzt er grosses Vertrauen in die Personen und delegiert den Grossteil der relevanten Anlageentscheide wie z.B. die Wahl der Anlageklassen, die Exposition gegenüber ge-wissen Risikoprämien und Betas oder auch schlicht das Risiko im Fondsportfolio an den gewählten Manager.
Aus unserer Sicht ist es im Interesse des Kunden, sich die beschriebenen Konsequenzen klassischer Bottom-Up-Auswahlprozesse zu vergegenwärtigen und das hohe Mass an Delegation vor Augen zu führen. Nur mit diesem Wissen kann er fundiert entscheiden, ob diese Art von Selektion zu seinem Portfolio und seinen Zielen passt.
Anders die Situation bei der Top-Down-Selektion, weil hier präzisere Vorgaben des Kunden gezielt beim Filter-prozess auf ein eng definiertes Set von Anbietern und Produkten hinauslaufen. Mit anderen Worten, weil die resultierende Gruppe der im Filterprozess verbleibenden Fonds homogener ist. Ob die verbleibenden, ähnlichen Strategien in Zukunft weiterhin gut funktionieren und vor allem besser als konzentrierte Aktienfonds oder grosse Multistrategy-Hedge-Funds, steht natürlich auch in den Sternen. Aber im Gegensatz zur Bottom-Up-Selektion weiss der Kunde besser, worauf er sich bei der Top-Down-Selektion einlässt und was er von den gefilterten Kandidaten erwarten darf. Wenn ein Kunde, so wie wir, glaubt, dass sich weiterhin Trends an Finanzmärkten bilden, die man erkennen und ausnutzen kann, dann schon. Falls nicht, kann er den Filterprozess Top-Down adjustieren und auf andere Strategien lenken.
Welcher Prozess für welche Anlageklasse?
Top-Down-Prozesse erfordern vom Anleger relativ klare Vorstellungen über die Ziele und Anforderungen sowie ein stets investierbares Universum an Anlagefonds, die ihre Strategie jederzeit zuverlässig umsetzen. Das passt gut für liquide Strategien in liquiden Instrumenten mit hohen AuM-Kapazitäten. D.h. solche Fonds können sehr rasch Neugelder annehmen und strategiekonform, ohne Verwässerung und Styledrift investieren. Die meisten traditionellen Fonds, aber auch einige Nischenfonds wie z.B. Loans oder Cat Bonds sowie liquide Hedge-Funds wie CTAs, Global Macro oder viele Long-Short-Equity lassen sich durch Top-Down-Selektionen sinnvoll filtern. Selbst einige Private Debt Manager haben (zumindest in der Vergangenheit) gezeigt, dass sie umfangreiche Gelder für neu lancierte Vintages überraschend gut verdauen bzw. effektiv und fokussiert an Kreditnehmer für attraktive Kreditrisikoprämien vergeben können, was zumindest mit etwas Geduld einen sinnvoll strukturierten Top-Down-Selektionsprozess nicht ausschliesst.
Anders die Situation bei den Private Equity Anlagen, besonders im Bereich von Venture Capital und Growth. Natürlich darf man auch bei Private Equity Anlagen seine Top-Down-Ziele und Wünsche in eine Selektion einfliessen lassen. Leider sind aber viele erfolgreiche Manager nur schwer zugänglich, weil sie Neugelder nur in limitiertem Umfang und nur alle paar Jahre auf-nehmen. Eine Top-Down-Selektion, die einen Anleger zu einer Reihe von geschlossenen Managern führt, bringt dem Kunden natürlich nichts. Stattdessen muss sich ein Anleger stärker und aktiver Bottom-Up orientieren und prüfen, welche unter den vermeintlich attraktivsten PE-Managern momentan überhaupt Neugelder annehmen und auch neue Kunden akzeptieren.
Hinzu kommt, dass die Positionen bei neuen PE-Fonds (sowie auch für andere Privatmarktanlageklassen wie Infrastruktur und Private Debt) heute noch nicht bekannt sind, weil ja der Manager die eingesammelten Gelder für seinen neuen Fonds erst über die nächsten Jahre inves-tieren wird. Wir können uns also nur darauf abstützen, dass der gewählte Manager die im Due Diligence Gespräch geäusserten Absichten bzgl. seines Anlage-Beuteschemas in Zukunft erfolgreich umsetzen kann und wird. Bei liquiden Fonds kann sich ein Anleger hingegen jederzeit das bestehende Fonds-Portfolio anschauen und prüfen, ob das zu seinen Zielen sowie zu seinem restlichen Portfolio passt.
Bei den gefühlsmässig weniger geordneten Bottom-up-getriebenen Prozessen stellen die vorhandenen Netzwerke, langjährige Track Records und etablierte Beziehungen zu zahllosen Managern (z.B. in der Private Equity Industrie) zentrale Wettbewerbsvorteile dar. Darin liegt ein Argument, weshalb wir in der Geschichte von SIGLO nie Private Equity angeboten haben. Aber dank der Integration in Cambridge Associates können wir heute mit einem viel besseren Gefühl mit unseren Kunden individuell gestaltete Privat-Equity-Lösungen erarbeiten und in der Praxis umsetzen.
Implikationen für die Portfoliokonstruktion
Die Wahl des Ansatzes für die Selektion von Managern und Fonds widerspiegelt sich auch in der Philosophie hinter der Portfoliokonstruktion von Investoren. Wer für sein Gesamtportfolio sowie für bestimmte strategische Quoten wie z.B. seine liquide alternative Quote einen Top Down Prozess verfolgt, wird bewusst nach Strate-gien und Fonds Ausschau halten, welche sein bereits bestehendes Portfolio zielgerichtet ergänzen. Deshalb fokussieren wir heute beispielsweise in gewissen Kundenmandaten bewusst auf Risk Mitigation (auch Drawdown Management genannt), indem wir, wie im anfangs beschriebenen Selektionsbeispiel, liquide und diversifizierende Strategien wie die Trendfolger (CTAs) suchen, die traditionelle Anlagen ideal diversifizieren und in schwierigen Phasen für Aktienmärkte rentieren. Mit diesem Kundenziel vor Augen konzentrieren wir uns bei der Suche nach möglichen neuen und ergänzenden Fonds bewusst auf eine top-down-definierte Gruppe von Anbietern und Fonds.
Anders das Vorgehen von Bottom-Up Investoren, die z.B. im Hedge Funds Bereich in erster Linie nach etablierten Managern suchen, die idealerweise jeder-zeit attraktive absolute Renditen erzielen. Solchen Kunden ist es nicht so wichtig, was ein einzelner Manager genau für Strategien verfolgt oder welche Instrumente er an welchen Märkten aktiv handelt. Sie interessieren sich auch nicht für eher etwas akademisch angehauchte Übungen, um die Renditebeiträge nach echtem Alpha und Beta oder nach Faktoren aufzuteilen. Hauptsache die absolute Rendite stimmt.
Wir wiederholen bewusst, dass wir die beiden vorge-stellten Ansätze, Top-Down und Bottom-Up, nicht werten, sondern lediglich beobachten und beschreiben. Uns ist wichtig, dass die individuellen Ziele von Kunden mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden.
Für die meisten unserer institutionellen Mandate erachten wir heute einen klassischen Top-Down-Ansatz aus Diversifikationsüberlegungen für die Kunden als geeigneter, vor allem im Hinblick auf die Wirkung der ausgewählten Fonds im Gesamtportfoliokontext. Bei Mandaten, welche sich spezifisch auf gewisse Anlage-klassen fokussieren, wird dies verständlicherweise auch vom Kunden zurecht so gefordert. Die Spezialisierung ist ja vielfach die Hauptmotivation für entsprechende Mandatsvergaben.
Fazit
Anleger sollten sich vor allfälligen Selektionen, egal ob intern oder extern durchgeführt, überlegen, ob sich für die im Fokus stehende Anlageklasse ein Top-Down oder ein Bottom-Up Ansatz besser eignet. Falls grundsätzlich beide gangbar erscheinen, sollte man sich als Kunde fragen, ob man selbst bereits eine klare Vorstellung von Zielen und Anforderungen bzw. von der Rolle des neuen Fonds im gesamten Portfoliokontext hat. Falls nicht, bietet sich ein Gespräch mit erfahrenen Kollegen oder Spezialisten an, die einem helfen können, die eigenen Präferenzen zu erörtern und zu formulieren, um ein indi-viduell passendes Vorgehen für zukünftige Selektionen zu sichern.
Im Gesamtportfoliokontext drängt sich die identische Fragestellung natürlich auch auf. Soll bewusst eine allenfalls offene Lücke im bestehenden Portfolio gezielt geschlossen werden, oder möchte man einfach einen weiteren «guten» Manager identifizieren, der einen positiven Beitrag zur Rendite liefern kann. Einmal mehr liegt die Schönheit im Auge des Betrachters.