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Timeout 155: Reizüberflutung und Informationsüberfluss

Christoph Gort

Neue Information ist für die Preisentwicklung fast aller Anlagen relevant. Das Problem liegt in unseren Augen heute aber nicht mehr darin, dass zu wenig Information vorläge oder sie zu langsam verfügbar wäre. Wir denken eher, dass zu viel Information auf uns einprasselt und somit eine Reizüberflutung droht. Zudem wird es immer wie schwieriger aus der Kakophonie an Information die als wesentlich erachteten Teile herauszufiltern. Im Timeout teilen wir unsere Gedanken und Lösungsansätze dazu.

Einführung und Abgrenzung

«Reizüberflutung» beschreibt einen Zustand, wo der Körper durch die Sinne gleichzeitig so viele Reize auf-nimmt, dass sie nicht mehr verarbeitet werden und zu einer psychischen Überforderung führen. In diesem Timeout geht es aber weder um medizinische noch um (geo-)politische Aspekte, sondern nur um Finanz-information und evtl. daraus erfolgendes Anlage-verhalten, d.h. um visuelle und manchmal akustische Wahrnehmungen von vermeintlich relevanter Finanz-information die via Events, Internet, Email, Bloomberg, Medien und zahllosen sozialen Medienplattformen tagtäglich auf uns einwirken. Diese kann sich unter Umständen unvorteilhaft auf unser Anlageverhalten und damit auf Entscheide auswirken, weil sie uns überfordert und von noch wichtigeren Entscheiden ablenkt. Natürlich gibt es Leute, die es toll finden, zig Stunden am Tag an Events oder vor mehreren Bildschirmen mit Reuters, Bloomberg, CNN etc. zu sitzen. Aber diese sind seltener als diejenigen, die sich davon früher oder später etwas überrollt fühlen.

Der Umfang und die Verfügbarkeit von Information haben enorm zugenommen und zugleich hat sich der Zugang und der Umgang mit Information wesentlich verändert. Wir umschiffen bewusst Fragestellungen zu Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz und entsprechenden Anwendungen, weil es den Rahmen unseres Timeouts sprengen würde.

Information und die EMH

Die Effizienzmarkthypothese (EMH) geht davon aus, dass alle verfügbare Information in den aktuellen Preisen von Finanzmarktanlagen reflektiert werden. Aktive Anleger versuchen rascher bessere Infos zu erhaschen als andere und so Alpha zu erwirtschaften. Deshalb ist der Wettbewerb an den Märkten so hart, wie wir in den letzten Timeouts bereits festhielten. Wir erachten die EMH-These als ideale Grundlage, um sich über gewisse Anlagefragen wie aktiv vs. passiv oder die Wahl alternativer Strategien Gedanken zu machen. Aber das reicht heute nicht mehr aus.

Die EMH befasst sich nämlich nicht mit Fragen nach der Qualität von Information und deren subjektiven Interpretation. Die EMH-These geht davon aus, dass die Marktteilnehmer wissen, was wichtig ist und welche Wirkung neue Informationen auf Kurse und Preise ausüben werden. Unsere Erfahrungen zeichnen allerdings ein anderes Bild, bei dem sich der «effektive und effiziente» Umgang mit Information immer komplexer und umfangreicher gestaltet.

In diesem Zusammenhang sei auf das neue Werk von Yuval Noah Harari namens «Nexus» verwiesen, das erörtert, wie der Mensch generell mit Information in der Vergangenheit umging und heute umgeht sowie die Frage aufwirft, weshalb der Unterschied zwischen Information und Wahrheit so wichtig zu verstehen ist. Ebenfalls lesenswert erscheint «The Signal and the Noise» wo Autor Nate Silver Techniken beschreibt, um zu besseren Prognosen zu gelangen bzw. um eben die nutzlose Information (Noise) herauszufiltern. Sein Tummelfeld ist allerdings «nur» die Politik und damit die Prognose von Wahlergebnissen und keine von Anlagerenditen an Finanzmärkten, wo der Wettbe-werb zweifellos viel härter, aber auch lukrativer ist.

Folgende Beispiele zeigen, weshalb Reizüberflutung relevant erscheint. Man beachte, dass diese per se keinesfalls gegen die von uns klar befürwortete Meinungsvielfalt und -freiheit sprechen, sondern nur vor einer Tsunami-artigen Informationsflut warnen.

Neue Sprachrohre und Medien

Unsere Eltern fühlten sich ausreichend informiert, wenn sie regelmässig eine lokale Zeitung mit mehr Text als Bildchen und Headlines lasen und ab und zu die Tagesschau sahen. Die früher weniger in Frage gestellte Autorität einer Handvoll etablierter Medien (egal ob zu Recht oder zu Unrecht) scheint im Zeit-alter von AI regelrecht dahin zu schmelzen. In der Zeit vor dem Internet und den sozialen Medien schien die Verbreitung von Informationen zentraler organisiert und vermutlich übersichtlicher. Das heisst nicht, dass früher alles einfacher oder besser war. Gerüchte und Irrglauben verbreiten sich leichter, wenn Fakten für die Öffentlichkeit verschlossen sind, was «die Elite» nicht nur in autokratischen Regimen immer noch aus-nutzt. Aber die Gefahr visueller und akustischer Reiz-überflutung bestand damals viel weniger als heute. Zudem war es früher nicht nur für «die Elite» leichter, Information ans Volk oder an ihr Publikum zu bringen und allenfalls etwas in die gewünschte Richtung zu lenken. Heute wissen gewisse Patienten dank Google ja schon vor dem Arztbesuch woran sie kranken und was zu tun ist. Und wie gesagt: Es ist grundsätzlich gut, dass mehr Information freier verfügbar ist, aber der Umgang damit ist aufgrund der Informationsflut viel anspruchsvoller und aufwändiger geworden.

So betonte der erfolgreiche Venture Capital Investor Marc Andreessen kürzlich, dass die früheren Eliten aus der Politik, der Akademie und den Medien ihr Quasi-Monopol zur Verbreitung von Information verlieren. Und zwar zu Gunsten von dynamischen Amateuren und der breiten Gesellschaft (und notabene auch zu Gunsten von Tech-Firmen, die er selbst mitaufbaute). Man denke an Influencer und alle Kommentatoren auf Social Media mit Millionen von Followern, die eine nie dagewesene Masse an Information erzeugen und teilen. Das ist nicht per se gut oder schlecht, aber es generiert einen Informationsüberfluss und birgt ein erhöhtes Risiko der Reizüberflutung. Wie Herr Harari betont, sind Information und Wahrheit aber nicht das gleiche (und leider häufiger schwer zu unterscheiden), was uns zu den nächsten zwei Beispielen führt.

Datendschungel

Aggregiert man einige grössere Datenbanken, findet man in dutzenden von Anlageklassen mit hunderten von Strategien heute locker 500’000 Fonds. Natürlich sind 99% davon für Schweizer Anleger nicht relevant, aber wie finde ich das eine Prozent in diesem Daten-ozean, das den individuellen Kundenbedürfnissen entspricht? Wir können gut nachvollziehen, dass sich Anleger nicht alleine durch diesen Datendschungel kämpfen wollen, weil sie definitiv wichtigere Anlage-entscheide zu analysieren und zu treffen haben. Und trotzdem spielt die sorgfältige Wahl von Managern Fonds eine zentrale Rolle im Anlagegeschäft.

Auf der akademischen Seite ist es nicht einfacher. Ein Beispiel findet sich in der Nobelpreisvergabe 2013 an Eugene Fama und Robert Shiller für ihre Beiträge zum Verständnis der Preisbildung an Finanzmärkten. Zweifellos haben beide ihren Preis verdient. Dass aber Herr Shiller den Herrn Fama stark kritisiert, irritiert die Ideologen und Jünger auf beiden Seiten der Diskussion kaum, da sich beide jeweils als Vertreter der einzigen korrekten wissenschaftlichen Sicht verstehen. Als ob es nur eine richtige Meinung gäbe. Ja, der Self Confirmation Bias ist stark. Dabei hilft es uns nicht weiter, dass es mittlerweile tausende von publizierten Beiträgen gibt, die jeweils für die eine oder die andere Seite argumentieren. Der Konflikt wird in Sozialwissenschaften wohl nicht nur mit mehr Arbeiten und Daten gelöst, selbst wenn die meisten akademischen Beiträge seriös erarbeitet wurden.

Noch umständlicher wird es, wenn es die Quelle der Information mit der Wahrheit bewusst nicht so genau nimmt, oder diese extra verschweigt oder verleugnet.

Alternative Fakten

Wir können und wollen nicht beurteilen, ob heute in der Politik und insgesamt in der Welt mehr gelogen wird als früher. Salonfähiger scheint es aber schon zu sein, wenn wir uns die aktuelle Präsidentschaftswahl in den USA, die kürzliche Abstimmungspropaganda in der Schweiz, oder die Kommunikation ehemaliger Führungskräfte von ehemaligen Schweizer Banken ansehen. Machiavelli würde schmunzeln, wenn er miterleben dürfte, wie sehr der Zweck alle Mittel in der Kommunikation heiligt. Das erscheint bemerkenswert, weil «alternative Fakten» heute digital wesentlich rascher entlarvt werden könnten, falls man sich für seriös belegte Fakten interessiert. Zudem teilen auch wir den Eindruck, dass die Berufung auf alternative Fakten eine konstruktive und zielführende Diskussion erheblich erschweren und ein hohes Mass an Selbst-kontrolle (und idealerweise Humor) erfordern. Wir verstehen, dass Anleger wenig Interesse zeigen an zahllosen, repetitiven Fundamentaldiskussionen mit Anbietern und ihren gebetsmühlenartig repetierten Versprechen über ihre «einzigartigen» Alphas.

Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu harmlos, wenn Verkäufer von Privatmarktanlagen ihre selbst-berechnete Rendite als Top Quartil bezeichnen und ihnen das ihre treuen, und im Grundsatz oft zu Recht von der Anlageklasse überzeugten Kunden ohne Widerrede einfach mal abnehmen und nicht laufend in Frage stellen. Ebenso unbekümmert wird von anderen Exponenten behauptet, alternative Anlagen seien allesamt intransparent, illiquide und teuer, was gewisse institutionelle Anleger darin bestärkt, sie zwar ungeprüft aber dafür umso härter und auf ewig aus ihrer Anlagestrategie zu verbannen. Uns ist klar, dass beide Beispiele extrem sind und die gängige und vor allem erfolgreiche Praxis in der Schweiz oft irgendwo dazwischen liegt. Aber als Beispiel für die bewusste Vermeidung der Reizüberflutung und den Umgang mit dem Informationsüberfluss passen sie.

Reizüberflutung strengt an und ist zu vermeiden…

Medizinisch und psychologisch besteht kein Zweifel, dass Reizüberflutung ungesund sein kann. Dass es vor allem bei jungen Menschen zu Krankheitsfällen kommt, hängt kaum mit genereller Verweichlichung zusammen, sondern damit, dass die heutige Gefahr der Reizüberflutung alles bisherige weit übersteigt. Natürlich sind nicht alle Personen gleich anfällig, aber für Entscheidungsträger von Finanzanlagen besteht ein solches Risiko. Dokumentierte Folgen sind z.B. Konzentrationsschwierigkeiten und Stress. Nachteile einer Reizüberflutung sind ja nicht nur pathologische Diagnosen. Sie übt vermutlich in der Praxis bereits sichtbare Einflüsse aus, wenn sich Anlagepersonen eher unwohl fühlen und kaum Lust verspüren, sich mit neuen Informationen, Anlageideen und Lösungen zu befassen, obwohl diese die Rendite-Risiko-Chancen in ihrem Portfolio durchaus verbessern könnten.

Aus eigener Erfahrung können wir bestätigen, dass das Leben grundsätzlich einfacher und angenehmer wird, wenn man gewisse, leicht übersimplifizierte aber dafür klare Verallgemeinerungen akzeptiert, um einer drohenden Reizüberflutung vorzubeugen. Evtl. fehlt manchmal auch einfach die Energie, permanent das berühmte System Zwei nach Daniel Kahneman aktiv zu benutzen. Das Motto «Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss» hat in der Hinsicht mehr Tiefgang und Selbstschutz als auf den ersten Blick sichtbar. Gleichzeitig ist uns klar, dass sich Herausforderungen nicht von selbst lösen, wenn man einfach den Kopf in den Sand steckt, weil man sie nicht mehr sehen will.

Diese Erkenntnis eröffnet eine weitere Perspektive, weshalb sich die von uns gesuchte und gewünschte Übernahme durch Cambridge Associates so vielver-sprechend anfühlt. Wir haben uns bei SIGLO 14 Jahre lang bewusst auf wenige Anlagethemen spezialisiert, um diese fundiert und kompetent abzudecken. Wir fühlten uns schlicht nicht in der Lage, diverse andere Anlageklassen und Strategien in der notwendigen Tiefe zu analysieren sowie individuell und massge-schneidert mit ambitionierten Kunden umzusetzen. Die Kooperation mit einem unglaublich ressourcen-starken und global agierenden Team, das hunderte von erfahrenen und spezialisierten Analysten zählt, erlaubt uns in Zukunft, auf verfügbares Knowhow innerhalb der Organisation zuzugreifen. Wir können es kaum erwarten, mit Schweizer Kunden individuelle und massgeschneiderte Lösungen in neuen Anlage-klassen zu diskutieren und dabei die jahrzehntelange Erfahrung unserer neuen Kollegen und ihren globalen Kunden einzubringen. Wir sind davon überzeugt, dass diese Zusammenarbeit auch unsere Services an die Kunden signifikant erweitert und verbessert.

…aber nicht um jeden Preis

Dass sich Anlageverantwortliche vor einer möglichen Reizüberflutung und dem Untergang in der Informa-tionsflut schützen wollen, sollte nun verständlich sein. Wer sein Leben so «reizlos» wie möglich gestalten will, schliesst alternative und aktive Anlagestrategien gleich ganz aus. Die Reizüberflutung nimmt ab, und die Frage nach dem TER verschwindet auch. Aber rechtfertigt die Elimination möglicher Reizüberflutung solch drastische Entscheide bzw. harte Ausschlüsse von zahllosen Anlageklassen und Lösungen, die bei sorgfältiger Auswahl sowohl zur Renditeerhöhung als auch zur Diversifikation eines Portfolios dienen? Aus unserer subjektiven Warte nicht. Auch wir erwarten als aktive Beitragszahler und Destinatäre einer PK von deren Anlagespezialisten, dass sie aktuelle und neue Anlagemöglichkeiten sorgfältig beurteilen und dabei Chancen und Risiken fundiert abwägen.

Information auf mehrere Schultern verteilen

Wir haben bewusst zwei Extrempositionen skizziert, vom blinden Vertrauen in gewählte Manager bis zum Komplettausschluss aller aktiven und alternativen Anlagen. Ein vernünftiger Kompromiss, wie wir es in der Schweiz meistens anstreben, scheint sinnvoll. Und ein solcher wird von zahlreichen Schweizer Anlegern bereits erfolgreich in der Praxis umgesetzt. Es gibt genügend Beispiele von Anlegern, wo die sorgfältige Portfolio-Beimischung von alternativen Anlagen und aktiven Strategien langfristig überdurchschnittliche Nettorenditen abgeworfen hat, ohne dass deren Entscheidungsträger dahinter auf uns reizüberflutet oder gestresst wirkten.

Ein Erfolgsgeheimnis liegt in unseren Augen in der strategischen Verteilung der Aufgaben auf mehrere Schultern (sowohl interne als auch externe) und der Spezialisierung bei der Auswertung und auch der Aufbereitung von Information für alle Anlageklassen. Die bei uns gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur Sorgfalt erlaubt ja ganz bewusst die Delegation von Aufgaben und Pflichten, gerade was spezifische Anlagefragestellungen angeht. Darin sehen wir eine Chance, von der eigentlich alle Leute profitieren.

 

Christoph Gort, Investment Managing Director

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